Argentina - Seis Miles Sur

San Pedro de Atacama, die Stadt ist gebaut für Touristen. Gefühlt gibt es nur Fußgängerzonen, wo sich Tourenanbieter, Restaurants und Souvenirshops abwechselnd aneinander reihen. Fast alle Straßen sind nicht befestigt und man läuft auf dem staubigen Wüstenboden. Eine gute Eingewöhnung für einen Trip ins Outback. Das Pirca Hostal war für uns ein kleines Paradies, wir haben uns in kurzer Zeit super erholt.

Den 2.500 Höhenmeter Pass den wir am letzten Tag der "Ruta de las Lagunas" mit 60 km/h hinunter gerast sind, wollen wir auf keinen Fall hoch treten und besorgen uns ein Busticket für den nächsten Tag. Das war zumindest unser Plan. Nach zwei Stunden Däumchen drehen an der Bushaltestelle haben wir dann gemerkt, dass wir eine Stunde zu spät ankamen. Unsere Handys haben sich trotz automatischer Zeitzonen Aktivierung nicht auf die "eine Stunde früher" in Chile umgestellt. Also neues Ticket gekauft und zurück für eine Nacht in die tolle Unterkunft zum Entspannen - „Melone und Chill“.

Wir steigen aus dem Bus in Salta in Argentinien aus und erleben gleich live mit, was es bedeutet sich hier um Bargeld zu kümmern. Das Finanzsystem ist wirklich eine absolute Katastrophe. Die Inflationsrate lag in den letzten 10 Jahren bei durchschnittlich 38 % jährlich und alleine in 2022 waren es 72 %. Hier braucht man am Fahrrad einen eigenen Pannier nur für Bargeld und selbst dann kommt man damit nur einige Tage aus. Kauft man im Geschäft einen neuen Fernseher braucht man schon eine Sporttasche. Die Gebühren am Geldautomaten sind ~12 Euro aber man bekommt auch umgerechnet nicht mehr als 12 Euro pro Abhebung. Wir tauschen erstmal ein paar chilenische Pesos bei einem der vielen Straßendealer, was sich anfühlt, als würden wir wie Ernie ein "O" bei Schlemihl kaufen.

Es gibt noch eine weitere Option an Bargeld zu kommen und zwar kann man sich Geld an eine Western Union Bank schicken, wo die Gebühren "etwas" im Rahmen sind. Die Western Union Standorte werden überall wo wir sie gesehen haben gestürmt, vor jedem "Kiosk" stand eine ewig lange Warteschlange. Durch die hohe Inflationsrate ist auch alles unglaublich teuer, z.B. kostet ein kleines Menu bei Mc Donalds umgerechnet 11 €.

Salta ist eine Stadt auf ca. 1.500 Höhenmeter und da Argentinien das erste Land auf dieser Reise ist, wo die Geschäfte am Sonntag geschlossen sind, ist am Tag unserer Ankunft auch nicht viel los. Heiß und ein wenig schwül ist es jedoch jeden Tag.

Zum Einstieg unserer nächsten Etappe wollten wir eigentlich noch ein Stück mit dem Bus fahren um die berühmte „Ruta 40“ zu meiden. Wir dachten, dass es eine sehr stark befahrene Hauptverkehrsader ist. Pustekuchen, die Gegend war menschenleer, so dass Busse nur sehr unregelmäßig fahren. Wir haben es genossen ein paar Tage durch Weinplantagen und Einöde zu fahren.

Auf der Strecke waren viele Felsensittiche zu sehen, ihr Gefieder schimmert toll in der Sonne. Ihre weißen Augenlider finden wir etwas gruselig.

Auch ein ziemlich tollpatschiger Kaninchenkauz saß am Straßenrand. Er war ziemlich stinkig und kreischte lautstark, als wir ihn auslachten, weil er vorher beinahe vom Zaunpfahl geplumpst ist. Der Movember ist auch bei den Kauzen im Trend.

Am Ende haben wir eine ganze Woche bis in das kleine Dorf Fiambalá gebraucht - das war eigentlich anders geplant.

Wir haben in Argentinien etwas "Großes" vor, die Ruta de Los Seis Miles. Es ist eine in zwei Abschnitten unterteilte 1.313 Kilometer lange Strecke durch die Atacama-Wüste. Der Macher der Route Taneli Roeninen beschreibt diesen sehr abgelegenen Fleck Erde mit folgenen Worten:

"If there is one part of the world that long-distance cyclists talk about and are drawn back to, it is the Central Andean Dry Puna.“

Da wir uns fürs Alter noch etwas aufsparen wollen, werden wir "nur" den "Sur" (südlichen) Abschnitt mit 530 Kilometer ohne jegliche Zivilisation fahren. Da wir so viel Essen für die ca. 12 Tage nicht an die Fahrräder bekommen, besorgen wir uns noch jeder einen Rucksack im Second-hand store.

Wir haben einen Kontakt, der sich in der Region gut auskennen soll. Beim Radio Fiambalá FM erkundigten wir uns über die Schneeverhältnisse und Wasserspots in der Puna. Uns wurde auch gleich ein Transport organisiert, so dass wir uns ein paar Kilometer Asphaltstraße bis zum Einstieg sparen können.

Es ging erst einmal nur bergauf. Die Farben der Berge sind für den Anfang schon mal ganz nett. Eine Horde Aymarasittiche wünscht uns noch viel Glück für die Tour.

Auch die Wüstenlandschaft in der Ferne kann sich sehen lassen.

Nach dem ersten langen Pass fahren wir hinunter zur "Laguna de los apatejos". Sie liegt in einem riesigen Tal. Die Abendsonne lässt die kleinen Sträucher wie Knicklichter auf dem seramisfarbenden Wüstenboden leuchten - ein wunderschöner Kontrast.

Vor einem kleinem Hügel finden wir am Abend ein wenig Schutz vor dem Wind.

-8° Celsius zeigte das Thermometer am nächsten Morgen an. Wir packten schon um fünf Uhr in der Früh zusammen, weil wir ein paar Stunden ohne Wind fahren wollten. Daraus wurde jedoch überhaupt nichts. Gerade als wir aufsattelten fing es an zu pusten und das nicht zu wenig. Wir haben fast den ganzen Tag geschoben.

Am Mittag kamen wir an einer kleinen Schutzhütte vorbei, was bei mehr als 80 km/h Gegenwind ein wirklicher Segen war. Trotz das Buff bis weit über die Nase gezogen, läuft der Schnotter wie Bindfäden bei diesem Wind. Nicht zu unrecht wird starker Wind auch oft als Foltermethode in amerikanischen Action Filmen eingesetzt.

Wir blieben nicht lange, da unser größtes Ziel seit Wochen ist, auf dem Balcon de Pissis zu übernachten, koste es was es wolle.

Der Balcon de Pissis wird auch von einigen Tourenanbietern angefahren. Damit es mit dem Facetime Anruf nach Hause auch vom Berg aus klappt, haben einige Trucks eine Starlink Antenne auf das Dach gespaxt. Auch des öfteren sehen wir die Gäste neben den Autos im Kreis stehen und die Sauerstoffmaske samt Flasche wird herum gereicht - irre.

Ein Geländewagen stoppte uns und meinte dass auf dem "Balcon" der Wind mit über 100 km/h bläst und wir dort auf keinen Fall bleiben können. Wir nickten nur und dachten: "dann pass mal auf, Chico".

Vor dem letzten Anstieg ging es noch vorbei an der "Laguna Azul" die Farbe des Wasser sieht so unnatürlich aus, wir finden keinen Vergleich dafür. Moraine- und Peyto Lake können sich warm anziehen.

Mit letzten Kräften schieben wir vermummt gegen den Wind zum "Mirador“. Die Aussicht ist so überwältigend. Der Strand des Lago Verde erinnert an die Ringe von Saturn und die umliegenden roten Vulkane machen uns sprachlos - es kullerten tatsächlich einige Tränen.

Wir finden die kleine Steinwand von den Bikepacking Pionieren Mark und Hana (https://www.highlux.co.nz), die Michelle aka Obelix beschloss kurzerhand um ein Vielfaches zu vergrößern. Felix machte den Tag keine Anstrengungen mehr.

Wie bauten das Zelt aber trotzdem erst zur Dämmerung auf, weil der Wind dann erst etwas nach ließ.

Morgens war es stark bewölkt und extremst windig. Es war definitiv Zeit für uns von dem Berg runter zukommen. Bei -12° Celsius und Wind alles zusammen zu packen mögen die Finger überhaupt nicht. Der Schmerz lässt aber nach, sobald man die Hände gar nicht mehr spürt.

Die Abfahrt hinunter zur Laguna Negra war so windig und eisig, aber so eine Kulisse mit solchen Lichtverhältnissen zu sehen waren die Schmerzen allemal wert.

Am südöstlichen Ufer des Sees wachsen im seichten Wasser Mikrobialiten. Dabei handelt es sich um Strukturen, die aus Karbonat und Mikroorganismen wie Kieselalgen und verschiedenen Bakterien bestehen. Sie wurden mit präkambrischen Stromatolithen verglichen, die zu den ältesten Lebensformen auf der Erde zählen. Wir sahen nur eine Echse die hier heimisch ist...

Wir durchqueren bei übelsten Gegenwind das Valle Laguna Verde und kommen danach in einen bunten Canyon wo der Wind uns die Fahrräder im wahrsten Sinne aus der Hand riss.

Wir schleppen die Räder durch ein Geröllfeld weil wir dachten, dass der davor stehende Berg uns etwas Schutz bieten könnte. Und es hat sich ausgezahlt, es war von einen Schritt auf den anderen totenstill. Es war eine richtige Erlösung. Die Sonne schien und wir kochten Wasser für eine verdiente heiße Dusche auf.

Seit dem dritten Tag sehen wir keine Trucks oder gar Reifenspuren mehr. Die Pfade sind nicht selten ganz verschwunden und auch viele Straßenblockaden müssen wir umfahren.

Die sogenannten Penitentes (Büßereis) sind wirklich ein Schauspiel der Natur. Es wird verursacht durch ungleichmäßige Abschmelzung bei starker direkter Sonnenstrahlung und geringer Luftfeuchtigkeit. Für einige ein echter Abenteuerspielplatz ;-)

Wieder bauen wir abends eine Steinwand und müssen unsere vier Wände wie ein Zirkuszelt ringsherum abspannen damit es nicht in Fetzen reißt. Eine gut getarnte Echse ist begeistert von unserer Baukunst.

Für Tag fünf haben wir zwei Anstiege geplant, beide bringen uns auf jeweils 4.960 Höhenmeter. Er wurde zu einer der anstrengendsten Tage die wir je auf den Fahrrädern hatten, oder besser gesagt neben den Fahrrädern. Die Penitentes finden wir übrigens doch gar nicht mehr so toll, eher so ziemlich doof. In unserer Playlist lief den ganzen Tag "Frank Harris - Hold On To The Vision", alles andere hätte auch keinen Sinn gemacht.

Beim ersten Anstieg waren wieder jede Menge Graffiti Sprüher am Werk. Es gab den Tag auch unzählige Flussdurchquerungen. Das Wasser ist eiskalt. Wir sind heilfroh über unsere wasserdichten Thermosocken, die bei so einem Vorhaben wirklich unverzichtbar sind. Unverzichtbar ist aber auch, dass man sie abends gut durchlüftet.

Auch so war der Tag ziemlich matschig. Die Reifen waren durchweg paniert und auch Schutzblech Bella wird nach der Seis Miles eine extra Portion "Zuneigung" benötigen.

Der letzte Pass ging überwiegend durch ein Flussbett, da der Weg größtenteils mit diesen „Eisskulpturen“ bedeckt war.

Bei der Abfahrt hinunter zum Rio Salado bekamen wir noch die Belohnung für den Tag. Welchem Planeten wir diese Landschaft zuordnen haben wir noch nicht entschieden. Auf jeden Fall der Kategorie "unbewohnt".

Die erste Hälfte entlang des Rio Salado ging leicht hügelig vor sich hin, der Wind lies uns an diesem Tag zum Glück etwas in Ruhe. Bedienen konnten wir uns aus dem Fluss jedoch nicht, wie der Name "Salado" schon sagt, ist es Salzwasser. Man kann an den vielen Salzkristallen gut erkennen, aus welchen Quellen es in Richtung Rio fließt. Das Salzwasser richt sehr angenehm und erinnert an eine Wattwanderung zur Insel Neuwerk.

Dann hatten wir eine ruppige aber sehr schöne Abfahrt. Mit gefühlt jedem Höhenmeter veränderte sich die Landschaft.

Wir kommen auf die Straße Picras Negras. Die ehemalige Passstraße sowie Grenzübergang zwischen Argentinien und Chile ist seit Jahren geschlossen. Der Asphalt ist stark verwittert wenn er überhaupt noch vorhanden ist. Wir campen in der Nähe des ehemaligen Grenzgebäudes.

40 Kilometer haben wir auf der einsamen Asphaltstraße zu radeln. Wir haben am Morgen den Rückenwind unseres Lebens und genau wie Ulrich '97 hoch nach Andorra, stürmen auch wir mit dem großen Kettenblatt den Anstieg hinauf.

Die Straße wurde bis zur Laguna Brava immer besser. Dort angekommen fanden wir auch endlich Mal wieder gutes Süßwasser.

Die unterschiedlichen Farben der Berge sind einfach zu erklären. Die Grundfarbe ist erst einmal das Gestein oder der Sand. Aber mindestens genau so wichtige ist die Anzahl der kleinen Sträucher. Auf der Luv-Seite (Wind zugesandt) sind sie gelb und auf der Lee-Seite sind sie grün.

Auch der Winkel aus dem man die Berge betrachtet spielt eine Rolle, entweder reflektiert das Gestein sehr hell oder ist stark kontrastreich. Ein vermeintlich braungrauer Berg zeigt aus einer anderen Perspektive sein schimmerndes grünes Gewand. So hat die Natur hier ihren eigenen Tuschkasten.

Mit mal wieder traumhaften Abendlicht geht es noch 400 Höhenmeter bergab.

So schön windstill wie es am Abend war, so gezittert haben wir in der Nacht, dass das Zelt den starken Böen standhält - viel geschlafen haben wir nicht.

Den letzten Pass nehmen wir am Morgen mit Rückenwind, bevor es zu der ersehnten Abfahrt geht. Wir verlassen die Dry Puna auf 160 Kilometer und 3.000 Höhenmeter bergab.

Es wird schnell ziemlich warm und lebensfreundlicher. Beim letzten mal Wasserfiltern kam uns ein neugieriger Andenfuchs ziemlich nah und eine Kordillerenammertangare ließ sich beim Fressen schön ablichten.

Wir sind die gesamte Abfahrt an einem Tag gefahren und ehrlich gesagt haben wir uns dabei etwas übernommen. Wir haben uns ziemlich gequält. Die Handgelenke schmerzen und auch so tut nach acht Tagen Crossfit alles weh.

Die Seis Miles endet in dem kleinem Örtchen Guandacol. Es sind 42 Grad Celsius und wir benötigen dringend ein paar Tage Pause. Felix braucht dringend eine Eistonne und Michelle eine Eisdiele.

Als wir uns am Abend über die letzten Tage auf der Seis Miles unterhielten, wurden wir beide ziemlich emotional. Auf dieser Etappe kamen alles zusammen was wir in den letzten 17 Monaten auf dieser Reise gelernt haben. Den Lärm des starken Windes zu ignorieren, die Balance auf den Fährrädern zu halten wenn es durch tiefe Sandpassagen oder verblocktes Gelände geht. Das Gefühl zu kontrollieren wenn man auf 5.000 Höhenmeter anfängt zu hyperventilieren und nach Luft schnappt. Nicht in Panik zu verfallen und zu wissen was zu tun ist, wenn man vor Kälte seine Finger und Zehen nicht mehr spürt. Zu wissen, dass man sich in einer Region befindet wo mehrere 100 Kilometer um ein herum nichts ist und ein Unfallort schwer zu erreichen wäre. Und die Ruhe zu bewahren, wenn man vor unvorhersehbaren Situationen steht usw. - wir haben viel gelernt.

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